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Prismenbrillen nicht geeignet zur Behandlung von Lese-Rechtschreib-Störung bei Schulkindern.

Lese- und Rechtschreibstörungen können gravierende Auswirkungen auf die schulischen Leistungen eines Kindes haben. Die Behandlung dieser komplexen Störungen ist langwierig und verlangt von den Betroffenen Schülern, Eltern, Lehrern und Therapeuten viel Zeit und Geduld.
Vorsicht ist allerdings geboten, wenn unseriöse Therapiemethoden eine rasche und dauerhafte Heilung versprechen. Dies gilt insbesondere für die Behandlung mit Prismenbrillen, wie sie von einzelnen Optikern neuerdings intensiv beworben wird.

Prismatische Brillengläser ...
sind ein hochwirksames Mittel zur Behandlung bestimmter Schielerkrankungen. Dazu müssen sie jedoch von einem fachkundigen Augenarzt angepasst werden. Falsch angewendet können sie – insbesondere bei Kindern- schädlichen Einfluss ausüben.
Neuerdings scheinen einige Optiker ein neues Anwendungsgebiet für Prismenbrillen gefunden zu haben, die Lese-Rechtschreib-Störungen (LRS) bei Schulkindern.
Obwohl die Wirksamkeit dieser Behandlung umstritten und wissenschaftlich keinesfalls bewiesen ist, wird teilweise mit aufdringlicher Werbung sogar in den Schulen- versucht, die Prismenbehandlung für die Legasthenie zu etablieren.

Lese-Rechtschreibstörungen und Legasthenie

Wenn ein Kind bei einzelnen schulischen Fähigkeiten sein übriges Leistungsniveau wesentlich unterschreitet, spricht man von einer Teilleistungsstörung. Eines der bekanntesten Beispiele dafür ist die Lese-Rechtschreib-Störung (LRS).
Unter diesem Oberbegriff werden alle Störungen zusammengefasst, die das Erlernen des Lesens und des Rechtschreibens erschweren. Eingeschlossen sind zum Beispiel Störungen infolge von Sehschwäche, Schwerhörigkeit, geistiger Behinderung und unzureichendem Unterricht.
Die Legasthenie ist eine Form der Lese-Rechtschreibstörung, die weder auf eine Seh- oder Hörstörung noch auf eine allgemeine Beeinträchtigung der geistigen Entwicklung oder auf unzureichenden Unterricht zurückgeführt werden kann. Die Ursache der Legasthenie ist noch nicht vollständig geklärt; sicher ist jedoch, dass die von Auge und Ohr aufgenommenen Informationen im Gehirn nicht richtig verarbeitet werden.

Prismengläser, bestimmt mit der Mess- und Korrektionsmethodik nach Hans-Joachim Haase (MKH)

Mit der MKH soll die sogenannte Winkelfehlsichtigkeit korrigiert werden. Ein verwirrender Begriff, der leicht missverstanden werden kann. Es handelt sich dabei nicht um eine Fehlsichtigkeit, die etwa mit der Kurzsichtigkeit vergleichbar wäre. Vielmehr handelt es sich bei der "Winkelfehlsichtigkeit" um eine Abweichung der Augen von der richtigen Stellung zueinander, die erst durch Vorsetzen von Prismengläsern bei der MKH zustande kommt – eine „künstliche“ Abweichung sozusagen. Diese durch Prismen erreichte Abweichung soll angeblich einer "Ruhestellung" entsprechen. Daher sei es mit diesen Prismen möglich, nicht nur Ermüdungserscheinungen beim Sehen und sondern auch die Lese-Rechtschreibstörung zu bessern. Deshalb wird von Anwendern der MKH häufig eine Brille mit Prismengläsern empfohlen. Nicht selten werden die Prismen im Lauf der Zeit schrittweise so weit verstärkt, dass beim Abnehmen der Brille eine dauerhafte Schielstellung verbleibt und Doppelbilder wahrgenommen werden. Dies kann dazu führen, dass zu einer Schieloperation geraten wird.

Exakte Messungen der Augenstellung haben jedoch gezeigt, dass die MKH der wissenschaftlichen Begründung entbehrt. Eine über Placebo hinausgehende Wirkung der MKH ist bis heute nicht belegt.

Nicht immer ist eine Brillenkorrektion sinnvoll, Prismengläser sind es nur selten.

Fast kein Augenpaar ist perfekt. In etwa 80 Prozent der Fälle findet man eine geringe Fehlsichtigkeit. Unterbricht man die beidäugige Sehweise bei der Untersuchung, können die Augen als Zeichen latenten Schielens von der richtigen Stellung abweichen. Fehlsichtigkeit und latentes Schielen sind meist aber nur gering und führen nur dann zu Anstrengungsbeschwerden beim Sehen, wenn die natürlichen Ausgleichsmechanismen überfordert sind. Dabei ist die Belastbarkeit von Kind zu Kind sehr unterschiedlich.

Anstrengungsbeschwerden sind vieldeutig. Herauszufinden, ob sie durch eine Fehlsichtigkeit oder Fehlstellung der Augen bedingt sind und ob sie mit einer Brille behandelt werden können, ist daher eine schwierige ärztliche Aufgabe.
Eine Verarbeitungsstörung des Gehirns wie die Legasthenie kann durch keine Brille behoben werden. Wenn allerdings zusätzlich augenbedingte Störungen vorliegen, kann eine entsprechende Brille die Schwierigkeiten mindern.
Die Legasthenie bleibt lebenslang bestehen, sie kann durch spezielle Übungen nur abgemildert werden.

Interdisziplinäre Zusammenarbeit ist gefordert

Nur eine umfassende augenärztliche Untersuchung des gesamten Sehvermögens mit gezieltem Einsatz von subjektiven und objektiven Testmethoden kann Klarheit über die Ursache einer Lese-Rechtschreibstörung bringen. Ungezieltes Therapieren ohne die einzelnen Teilaspekte zu kennen, kann zwar zunächst vereinzelt erfolgreich scheinen, wird aber der Gesamtproblematik nicht gerecht.
Die betroffenen Kinder profitieren am meisten von einer engen Kooperation von Augenärzten und Orthoptistinnen mit Ärzten anderer Fachrichtungen, Psychologen, Ergotherapeuten und Logopäden.
 

Artikel: Dr. Ivo Baldissera (Leiter der Abteilung für Orthoptik und Neuroophthalmologie der Augenklinik IBK)
Dr. Walter Mair

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